Die Strompreise explodieren und der Discounter Aldi Süd zieht die Reißleine. Lockte der Discounter bislang an mehr als 400 seiner Filialen mit Gratis-Strom für das Elektroauto, wird das Laden ab Juni 2022 Schritt für Schritt kostenpflichtig. Die gute Nachricht: Die Preise bleiben moderat.
Aldi Süd leistete im Jahre 2015 Pionierarbeit, rüstete rund 50 Filialen mit Tankstellen für das Elektroauto aus. Zahlreiche Mitbewerber folgten dem Beispiel des weitsichtigen Discounters, boten nach und nach ebenfalls Strom-Geschenke fürs Elektroauto feil.
Längst zieht das verlockende Angebot nicht nur Kunden an. Auch „Strom-Schnorrer“ umschwärmen die begehrten Säulen wie die Motten das Licht, blockieren sie mit ihrem Elektroauto, laden dort ohne jemals einen Einkauf getätigt zu haben.
Die wachsende Beliebtheit der Elektromobilität verschärft die ohnehin schon angespannte Situation. So verzeichnete die Zahl der Neuzulassungen von Elektroautos in Deutschland im Jahre 2021 einen Rekordwert. Mehr als 350.000 Elektroautos rollten neu über den Asphalt – und damit an die Steckdosen. Explodierende Strompreise zwingen zu Preisvergleichen, machen die Gratis-Angebote für die Elektroauto-Fahrer noch attraktiver.
Aldi Süd versucht derweil, die Gemüter zu beruhigen. So gibt der Discounter die künftigen Preise an seinen Schnellladestationen für das Elektroauto mit 39 Cent pro Kilowattstunde an, an den Normalladesäulen schlage die Kilowattstunde mit lediglich 29 Cent zu Buche. Eine Registrierung sei weiterhin nicht erforderlich. Mehr als 1.000 Ladepunkten für das Elektroauto stelle Aldi Süd aktuell zur Verfügung, Tendenz steigend.
Je nach Möglichkeit wolle Aldi Süd die Lademöglichkeit für das Elektroauto von den jeweiligen Filialöffnungszeiten entkoppeln. An einigen Standorten sei das Laden dann sogar rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche möglich. Ebenfalls geplant: Die Begrenzung auf eine Stunde pro Ladevorgang solle entfallen.
Festzuhalten bleibt: Aldi Süd verabschiedet sich von den Strom-Geschenken, die Kosten bleiben jedoch äußerst moderat. Wer sein Fahrzeug an der heimischen Wallbox lädt, muss häufig deutlich tiefer in die Tasche greifen. Das Laden bei Aldi Süd bleibt unkompliziert. Es ist auch künftig keine Registrierung erforderlich. Für den Bezahlvorgang für das Laden bei Aldi Süd werden sowohl EC- als auch Kreditkarte akzeptiert, zudem Google Pay und Apple Pay. Wer Ladekarten benutzt, profitiert natürlich nicht von dem günstigen Angebot, zahlt den vollen Preis seines jeweiligen Vertragspartners.
Zweifellos werden weitere Ladenketten wie Aldi Süd den „Strom-Schnorrern“ den Stecker ziehen. Zu groß ist die Nachfrage nach kostenloser Energie. Zudem bricht sich die Verärgerung all jener Kunden Bahn, die ihr Fahrzeug während ihres Einkaufs laden wollen, die Säulen jedoch regelmäßig von externen Nutzern blockiert vorfinden.
Neben diversen Discountern wie Aldi Süd, die bislang kostenloses Laden anbieten, sehen sich auch Baumarktketten und öffentliche Einrichtungen unter Druck gesetzt. Zwar kündigen immer mehr Händler an, ihr bestehendes Ladenetz für das Elektroauto auszubauen oder ein gänzlich neues zu errichten. Zu befürchten steht jedoch, dass ein gänzlich kostenloses Laden in nicht allzu ferner Zukunft der Vergangenheit angehören wird.
Laden wird schwierig: Während die Zahl der Elektroautos sprunghaft steigt, fällt die Ladeinfrastruktur hinter den tatsächlichen Bedarf zurück. So gaben Bundesnetzagentur und Kraftfahrt-Bundesamt zu Jahresbeginn 2022 bekannt, dass sich der Bestand an ladefähigen Fahrzeugen in den zurückliegenden beiden Jahren fast versechsfacht, die Zahl der Ladepunkte jedoch lediglich verdoppelt habe. Bedenken bezüglich der verfügbaren Ladeinfrastruktur gehörten nach wie vor zu den meistgenannten Gründen gegen einen Umstieg auf die Elektromobilität, so die staatliche KfW-Förderbank in ihrer Studie vom April 2022.
Erklärtes Ziel der Bundesregierung: Bis zu 15 Millionen Elektroautos sollen bis zum Jahre 2030 über Deutschlands Straßen rollen. Bislang hinkt der Ausbau der Ladeinfrastruktur gewaltig nach. Die Praxistauglichkeit der Elektromobilität steht damit auf dem Prüfstand.
Vor allem in den Großstädten zeigt sich der Mangel. Hier stehen deutlich weniger private Abstellflächen zur Verfügung. Somit kann das Elektroauto auch seltener zu Hause geladen werden.
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) nahm das Ladenetz in Deutschland ebenfalls unter die Lupe. Auf einen öffentlich zugänglichen Ladepunkt kommen laut VDA rund 21 Elektroautos. Zudem verschlechtere sich das Verhältnis weiter. Das bundesdeutsche Netz wachse wöchentlich um cirka 250 Ladepunkte. Um die Zielvorgabe von einer Million Ladepunkte im Jahre 2030 zu erreichen, seien aber 2.000 neue Stationen pro Woche erforderlich.
Auch der VDA vertritt die Ansicht, dass mangelnde Lademöglichkeiten aktuell den größten Vorbehalt gegen den Kauf eines Elektroautos darstellen.
Das E-Ladenetz-Ranking des VDA (Stand 01. Oktober 2021) spiegelt die Situation in Deutschland wider: Während sich in Sachsen 13 Elektro-Pkw einen öffentlich zugänglichen Ladepunkt teilen, sind es im Schlusslicht Hessen fast 28. Bei den Städten und Kreisen führt Salzgitter das Ranking mit nur sechs E-Autos pro Ladesäule an. Von diesem Wert kann die Stadt Offenbach am Mai nur träumen. Hier sind es 95 Autos pro Ladepunkt.
Dass sich Discounter wie Aldi Süd künftig keine Strom-Geschenke mehr überreichen, ist für die Elektro-Piloten zweifelsohne ärgerlich. Explodierende Strompreise und der sich stetig verschärfende Mangel an Ladepunkten weckt jedoch Verständnis für diese wohl unausweichliche Maßnahme. War die begrenzte Reichweite eines Elektroautos bis vor Kurzem noch das Hauptargument gegen den Kauf eines Stromers, so wird es langsam aber sicher abgelöst durch die Sorge um eine unzureichende Ladeinfrastruktur. Der zögerliche Ausbau hinkt den rasant gestiegenen Zulassungszahlen deutlich hinterher.
Gäbe es derzeit keine langen Lieferzeiten für das Elektroauto, wäre die Situation wohl längst eskaliert. Explodierende Kraftstoffpreise und überaus attraktive Subventionen, die zudem auszulaufen drohen, haben für eine gewaltige Nachfrage gesorgt. Unterbrochene Lieferketten sorgen in der Automobilbranche für einen enormen Auftragsbestand. Einige Hersteller haben für das laufende Jahr bereits Bestellstopps verhängt. Lieferzeiten von über einem Jahr sind keine Seltenheit. So müssen die Kunden beispielsweise auf einen Audi Q4 Sportback e-tron 15 bis 18 Monate warten.
Die weitaus meisten Fahrten im Alltag belaufen sich auf weniger als 20 Kilometer, so eine Untersuchung des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln (EWI). Die Mitarbeiten hatten das durchschnittliche Nutzerverhalten mittels einer Smartphone-App ermittelt. 80-Kilometer-Distanzen waren dabei schon die Ausnahme. Die Angst vor der vermeintlich zu geringen Reichweite eines Elektroautos ist also überwiegend unbegründet.
Vielmehr mutiert die unzureichende Ladeinfrastruktur zum Nadelöhr, das einem Durchbruch des Elektroautos im Wege steht. Die Bundesregierung hat 2021 eine novellierte Ladesäulenverordnung auf den Weg gebracht, die das Bezahlen und damit das Laden einfacher macht. Säulen, die ab dem 01. Juli 2023 erstmalig in Betrieb gehen, müssen mindestens gängige Kredit- und Debit-Karten akzeptieren, und zwar kontaktlos. Bestehende Säulen müssen jedoch nicht nachgerüstet werden. Zudem wurden 1.000 Schnellladestandorte ausgeschrieben. Dort soll das Elektroauto in 20 Minuten zu 80 Prozent geladen werden.
Fluch oder Segen? So ärgerlich die derzeitigen Lieferengpässe bei den Elektroautos für die Verbraucher sein mögen, für die Politik kommt sie einem Rettungsanker gleich. Wären die anvisierten Rekordzahlen bei den Stromer-Zulassungen tatsächlich erreicht worden, sähe sich nicht nur das kostenlose Laden einem nicht zu bewältigenden Ansturm ausgesetzt. Beim Ausbau der gesamten Ladeinfrastruktur klemmt es gewaltig. Bürokratische Hürden schrecken potenzielle Investoren ab, drohen doch langwierige Genehmigungsverfahren.
Vom kostenlosen Laden unseres Elektroautos werden wir uns wohl verabschieden müssen, und das nicht nur bei Aldi Süd. Vielmehr sollte sich das Augenmerk auf die Gesamtsituation richten. Der Durchbruch der Elektromobilität steht und fällt nicht mit der Reichweite, sondern mit flächendeckenden Lademöglichkeiten in ausreichender Zahl. Die sichere Planbarkeit der batteriebetriebenen Reise, eine nutzerfreundliche Bedienung der Lademöglichkeiten, vielfältige Bezahloptionen und Preistransparenz sind unerlässliche Voraussetzungen für das Erreichen der ehrgeizigen Ziele.