Insgesamt 169 Branchen waren 2021 vom Mangel an Mikroprozessoren betroffen, konstatierte Goldman Sachs.
Smartphones und Computer, WLAN-Router und medizinische Geräte benötigen die Chips mit Halbleitern genauso wie die Automobilbranche und insbesondere das E-Auto. Im laufenden Jahr 2022 wird sich die Situation auch nicht maßgeblich ändern. Das bedeutet: Auf ein E-Auto muss man lange warten, sofern man überhaupt bestellen kann.
Es sind verschiedene Probleme, die für diese Wartezeit verantwortlich sind. Der Chipmangel ist global, und die Ursachen dafür sind nicht behoben. Wie kam es dazu, was hat das mit dem E-Auto zu tun und wie lange wird die Krise anhalten?
Fehleinschätzungen und eine Pandemie
Der heutige Mangel an Halbleiterchips nahm seinen Anfang in den ersten Monaten des Jahres 2020. Nach einem längeren Abschwung erholte sich die Halbleiterindustrie gerade wieder, ein Konjunkturaufschwung kündigte sich zaghaft an. Mit den ersten weltweiten Fällen von Covid-19 stornierten allerdings die Einkäufer der Automobilkonzerne einen guten Teil ihrer Aufträge bei den Chipherstellern und anderen Zulieferern. Denn man befürchtete (zu Recht), dass die Nachfrage nach neuen Autos einbrechen würde. Das war auch tatsächlich der Fall – aber nicht in dem von der Branche befürchteten Ausmaß. Die umfassenden Stornierungen erwiesen sich als Fehleinschätzung.
Die Nachfrage nach neuen Autos stieg schnell wieder an. Die Stornierungen ließen sich aber nicht mehr rückgängig machen. Denn natürlich hatten die Chiphersteller die Chips nicht einfach in die Schublade gepackt in der Hoffnung, dass die Automobilindustrie sich vielleicht irgendwann noch einmal melden würde.
Die Fertigungskapazitäten waren an die Unterhaltungselektronik gegangen. Die hatte eine erhöhte Nachfrage an Smartphones und Tablet PCs, Laptops und Spielekonsolen zu bedienen. Denn die Welt befand sich 2020 im Lockdown, alles fand zu Hause statt.
Kein Spaß ohne Chips – damit waren die globalen Vorräte schnell aufgebraucht und die Fertigungskapazitäten ausgeschöpft.
Klimakatastrophen tragen zum Chipmangel und damit zu Wartezeit bei E-Auto bei
Der Mangel an Halbleiterchips wurde durch die Wetterlage verschärft. In Texas gingen heftige Schneestürme nieder, die Stromversorgung wurde unterbrochen. Die Halbleiter-Fabriken konnten deshalb nicht kontrolliert heruntergefahren werden. Produktionsanlagen nahmen Schaden, die Infrastruktur der Werke wurde teilweise zerstört. Betroffen waren im Februar 2021 Werke von Herstellern wie Samsung, NXP und Infineon. Auf der anderen Seite des Pazifik, in Japan, kam es ebenfalls zu Naturkatastrophen und Bränden. Im März 2021 wurde eine Fertigungsanlage von Renesas Electronics von einem Großfeuer beschädigt.
Diese Katastrophen verschärften die ohnehin angespannte Situation weiter. Als der damalige Präsident der USA, Donald Trump, Sanktionen im Bereich der Chiptechnologie gegen chinesische Hightech-Konzerne (insbesondere Huawei) verhängte, kauften die chinesischen Unternehmen den Markt leer: Alle verfügbaren Chips und Produktionsanlagen gingen nach China.
Unterschiedliche Branchen kämpfen mit Wartezeit – aus unterschiedlichen Gründen
Für jede Branche muss eine andere Lösung her. Denn die Gründe für den Chipmangel sind in den Branchen immer noch verschieden. In der Automobilindustrie kann bis heute die Nachfrage nicht gedeckt werden, weil die Herstellung der benötigten Halbleiter die Kapazitäten der zur Verfügung stehenden Fabs übersteigt. Anders sieht es in der Unterhaltungsbranche aus. Sony hatte Probleme mit der Playstation, weil eine bestimmte Isolierfolie für die Produktion von Trägerplatten für die schon vorhandenen Chips fehlt. Auch hier: Wartezeit. Bei Smartphones, Tablet PCs und Laptops sieht es ähnlich aus, die neuesten Modelle sind insbesondere vor Weihnachten und Ostern nur mit Wartezeit verfügbar.
Automobilindustrie arbeitet an der Lösung
Wie kann nun besser evaluiert werden, wann wie viele Halbleiterchips welcher Art genau von welchem Unternehmen wo benötigt werden? Um künftige Engpässe besser beheben zu können, legen die Akteure der Autoindustrie ihre Lieferketten offen. Im europaweiten Netzwerk Catena-X wollen die wichtigsten Beteiligten (beispielsweise BMW, Bosch, Mercedes-Benz, Volkswagen und andere) ihre Lieferketten noch transparenter machen. Das ermöglicht den Chipherstellern in Zukunft, die Nachfrage besser zu kalkulieren. Sollte sich abzeichnen, dass sich ein Ausbau in bestimmten Segmenten langfristig lohnt, wird das nämlich geschehen.
Allerdings kann die Industrie das alles nicht alleine stemmen. Um den Ausbau von Fertigungsanlagen voranzutreiben, fließt in Europa schon viel Geld. Allerdings wird die Halbleiter-Industrie bei Weitem nicht so stark subventioniert, wie das beispielsweise in Asien der Fall ist.
Nur 9 Prozent der weltweiten Halbleiter-Fertigung findet in Europa statt. Und das muss sich ändern, wenn die Produktion dauerhaft gesichert sein soll.
Und was genau macht die Automobilbranche gerade?
Im Februar 2022 stehen immer noch Produktionsstraßen still, Angestellte sind in Kurzarbeit. Einige Assistenzsysteme können nicht mehr verbaut werden und Neuwagen erhalten neuerdings wieder einen analogen Tachometer.
Halbleiter sind zentral für die Elektronik und Energietechnik in modernen Fahrzeugen. Sie werden als Hauptbestandteil der Mikrochips für Steuergeräte in Antrieb, Fahr- und Bremsverhalten benötigt. Airbags und Assistenzsysteme werden von diesen Mikrochips gesteuert. Kein anderes Material kann die Aufgabe der Halbleiter übernehmen.
Denn die Festkörper haben einen spezifischen elektrischen Widerstand, der stark temperaturabhängig ist. Sie können als perfekte Isolatoren dienen, haben aber beispielsweise bei Raumtemperatur schon elektrische Leitfähigkeit. Der bedeutendste Halbleiter ist immer noch Silizium. Es wird in Transistoren und Dioden verbaut. Daraus werden elektronische Schaltungen gefertigt. Auch integrierte analoge und digitale Schaltungen benötigen diese Bauteile. Wie genau diese Halbleiter eingesetzt werden, um Regelungstechnik und Mikroelektronik über ihre spezifischen Eigenschaften zu ermöglichen, würde an dieser Stelle jedoch zu weit führen.
Die Hersteller von E-Auto und Verbrennern versuchen derzeit, trotz Chipmangel die Wartezeit für ihre Kunden und Kundinnen zu verkürzen. Die vorhandenen Chips werden priorisiert eingesetzt. Baureihen, die nicht margenträchtig sind, werden zusammengestrichen. Bei VW bedeutet das beispielsweise: Der günstige ID.3 Pure mit 110 kW kann nicht mehr mit einem 45-kWh-Akku konfiguriert werden. Die derzeit schon bestellten Fahrzeuge liefert VW noch, aber es werden vorerst keine weiteren Bestellungen entgegengenommen. Die kostenintensiveren Modelle werden weiterhin produziert. Wer also einen ID.3 will, zahlt (vor Abzug der Förderung für E-Auto) jetzt 37.000 Euro oder mehr. Das günstigere E-Auto für 32.000 Euro gibt es einfach erst einmal nicht.
VW ist nicht der einzige Hersteller, der so vorgeht. Auch andere Marken versuchen, die Wartezeit der Kunden und Kundinnen so etwas zu verkürzen.
Wartezeit E-Auto abhängig von Antrieb
Im E-Auto werden Halbleiterchips vor allem für Steuergeräte benötigt. Für die hier nötigen Mikrochips ist die Autobranche am stärksten von allen Branchen von den Lieferengpässen betroffen. Schauen wir uns die 30 beliebtesten Modelle an Stromern in Deutschland an, sind nur zwei Modelle in einem Zeitraum von drei Monaten lieferbar. Kein einziges Modell der Plug-in-Hybride ist in diesem Zeitraum lieferbar. Die durchschnittliche Wartezeit beträgt fünf bis sechs Monate. Allerdings ist das der Durchschnitt – bei einigen Modellen beträgt die Wartezeit nahe eineinhalb Jahre. So sieht es beim E-Auto gerade aus:
- – Audi E-Tron 50 Quattro mit 313 PS: 5 Monate
- – Audi Q4 35 E-Tron mit 170 PS: 7 Monate
- – BMW I3 (120Ah) mit 170 PS: 4 Monate
- – BMW IX3 80 KWH Inspiring mit 286 PS: 8 Monate
- – Dacia Spring Comfort mit 45 PS: 9 Monate
- – Fiat 500e Action mit 118 PS: 3 Monate
- – Ford Mustang Mach-E mit 269 PS: 7 Monate
- – Hyundai Inoniq 5 mit 170 PS: 6 – 8 Monate
- – Hyundai Kona Elektro 100 kW mit 136 PS: 6 -8 Monate
- – Kia E-Niro 100 kW Vision mit 136 PS: 9 Monate
- – Kia e-Soul 100 kW Vision mit 136 PS: 9 Monate
- – Mazda MX-30 mit 145 PS: 4 -5 Monate
- – Mercedes EQA 250 mit 190 PS: 10 Monate
- – Mercedes EQC 400 4-Matic mit 408 PS: 10 Monate
- – Mini Cooper SE Essential Trim mit 184 PS: 8 Monate
- – Nissan Leaf mit 150 PS: 6 Monate
- – Opel Corsa-E mit 136 PS: 4 – 5 Monate
- – Opel E-Mokka 100 kW Edition mit 136 PS: 4 – 5 PS
- – Peugeot E2008 136 Active mit 136 PS: 4 Monate
- – Peugeot E208 136 Active mit 136 PS: 4 Monate
- – Polestar 2 Standard Range Single Motor mit 224 PS: 3 – 4 Monate
- – Porsche Taycan mit 408 PS: 3 Monate
- – Renault Twingo Electric Intens mit 82 PS: 5 – 6 Monate
- – Renault Zoe LIfe R110/Z.E. 40 mit 108 PS: 5 – 6 Monate
- – Skoda Enyaq 50 mit 148 PS: 10 – 13 Monate
- – Smart Fortwo EQ mit 82 PS: 13 Monate
- – Tesla Model 3 RWD mit 306 PS: 4 – 5 Monate
- – Tesla Model Y Long Range mit 514 PS: 7 – 8 Monate
- – VW ID.3 Pro mit 204 PS: 9 – 12 Monate
- – VW ID.4 Pure mit 170 PS: 10 – 12 Monate
Quelle: carwow.de; Stand Januar 2022
Die Wartezeit beim E-Auto ist also teilweise wirklich lang. Die Hersteller prognostizieren selbst, dass sich die Wartezeit im Jahr 2022 zumindest nicht verkürzen wird.
Förderung wird trotz Wartezeit für das E-Auto gewährt
Neuwagen werden zwar knapp und gute Angebote sind selten. Die Branche erhöht zwar nicht die Listenpreise, aber die Nachlassbereitschaft ist geringer. Rabatte werden seltener gewährt. Beim E-Auto sieht das aber noch anders aus. Denn hier hängt die Förderung auch am Rabatt. Das Rabattgefüge hat sich beim E-Auto fast nicht verändert. Bei Plug-in-Hybriden hat sie sich gar nicht verändert. Trotz Wartezeit bleibt der Preis hier also relativ stabil – und die Förderung ebenfalls.
Zukunftsaussichten: 2023 und 2024 immer noch Wartezeit für E-Auto?
Digitalisierung und Mikroelektronik boomen. Die Halbleiterbranche hat sehr gute Zukunftsaussichten. Die Nachfrage übersteigt allerdings derzeit (Stand Februar 2022) noch den Markt. Im zweiten Halbjahr 2020 zog die Nachfrage nach Neuwagen massiv an. Die Chipkrise erreichte die europäischen Automobilzulieferer im dritten Quartal 2021 mit voller Wucht.
Experten gehen davon aus, dass die Chipkrise in der Automobilindustrie noch einige Jahre bestehen wird. Denn in Automobile (auch im E-Auto) werden überwiegend Chips älterer Generationen verbaut. Die Chiphersteller fahren zwar die Produktion weltweit hoch und schaffen zusätzliche Fertigungskapazitäten. Das betrifft aber nur die Chips neuerer Generationen, für die es auch in Zukunft eine hohe Nachfrage geben wird. Die Automobilhersteller wissen das. Bislang fuhren sie eine „Just-in-Time“-Strategie. Durch die Chipkrise stellen sie auf eine „Just-in-Case“-Strategie um und bauen Lagerbestände mit Halbleitern auf. Dadurch ist die kurzfristige Versorgung noch schwieriger.