14.459 Tankstellen stehen derzeit in Deutschland. Viele Menschen kommen auf dem täglichen Weg durch die Stadt an ein oder zwei der Zapfanlagen vorbei. Manchmal ist der Toilettenbesuch oder der Wunsch nach einem Tabakprodukt wichtiger als das eigentliche Tanken.
Mit dem Wechsel zur Elektromobilität fällt der eigentliche Zweck der Tankstelle zunehmend weg. Ist daher nicht nur der Verbrennungsmotor, sondern auch die „Tanke“ ein Auslaufmodell? Experten haben vier Szenarien entwickelt, die zeigen, wie Tankstellen aussehen könnten, wenn immer mehr Menschen mit dem Elektroauto fahren.
Verkehrswende: Was wird aus der Tankstelle in Zukunft?
Auf deutschen Straßen fahren immer mehr Autos mit alternativem Antrieb, zeigen Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes. Während sie zum Stichtag 01. Januar 2019 nur 7,8 Prozent aller Neuzulassungen ausmachten, lag ihr Anteil am 01. Januar 2022 bereits bei 41,7 Prozent. Nicht nur das Elektroauto zählt dazu, auch Gas-, Wasserstoff- und Hybrid-Fahrzeuge werden mitgerechnet. Sie brauchen kaum oder kein Benzin und Diesel mehr. Das traditionelle Tanken fällt zunehmend weg.
Daraus folgt: Um nicht auszusterben, muss sich die Tankstelle an die sich veränderten Bedingungen am Mobilitätsmarkt einstellen. Wie könnte das aussehen?
Szenario 1: die „neue“ Tankstelle 2.0 – konservatives Festhalten am Tradierten
Im Jahr 2019 stellte Aral eine eigene Vision der „Tankstelle der Zukunft“ (Titel der Auftragsstudie, die vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum erarbeitet wurde) vor.
Darin heißt es, dass sich bis zum Jahr 2040 der Tankstellenmarkt nicht wesentlich ändern würde. Modellrechnungen der Studie sagten voraus, dass das Elektroauto auch in 20 Jahren noch nur drei Prozent an der Gesamtflotte ausmachen würde. Der Bedarf fürs Laden elektrischer Fahrzeuge wäre dann entsprechend gering. Selbige Modellrechnungen sahen bis 2040 eine starke Dominanz des Verbrennungsmotors gegeben – gut 75 Prozent aller Fahrzeuge sollten demnach dann noch regelmäßig Benzin und Diesel tanken.
Für Betreiberinnen und Betreiber von Tankstellen klingt das gut. Mit Veränderungen tut sich der Mensch bekanntlich schwer. Noch schwerer fällt es, sich zu verändern, wenn die gesamte Existenz daran hängt.
Auch der Tankstelleninteressenverband geht davon aus, dass sich am aktuellen Geschäftsmodell der Tankstelle noch viele Jahre festhalten lässt. Das Laden wird hier und da als Option neben dem Tanken ins Angebot aufgenommen – daher „neue“ Tankstelle 2.0. Teilweise meinen Tankstellenbetreibende wie Mineralölkonzerne aber, dass die Nachfrage nach Ladestationen bisher gar nicht gegeben wäre. Ladestationen würde es demnach nicht an jeder Tankstelle 2.0 geben.
Die Einnahmen dieser Tankstellen würden aus dem Verkauf von traditionellem Kraftstoff wie Benzin und Diesel, aus der Autowäsche und dem profitablen Tankstellenshop, in dem sich vielfältige Artikel des täglichen Bedarfs finden, stammen. Und – wo vorhanden – aus Ladestationen.
Diese Art der Tankstelle würde wohl eher am Stadtrand, im Vorortgürtel oder im ländlichen Raum stehen. Dort könnte sie die Reichweite von Elektroautos verlängern und die Tanks von Verbrennern füllen. Denn die Übergangsphase von fossilen zu erneuerbaren Energien wird noch lange Zeit dauern.
Szenario 2: der Ladepark – radikal in eine „erneuerbare“ Zukunft
Für dieses Szenario wird eine Annahme vorausgesetzt: Grüner Wasserstoff etabliert sich als Antriebsart. Somit werden neben der Möglichkeit zum elektrischen Laden auch Wasserstoffinfrastrukturen benötigt. Die traditionelle Tankstelle in einen Ladepark fürs wasserstoffbetriebene Fahrzeug und Elektroauto gleichzeitig umzubauen, ist teuer. Daher können dies nur die großen Mineralölkonzerne umsetzen.
Ein Signal dafür, dass dies durchaus realistisch ist, ist die Übernahme von Ubitricity durch Shell. Anfang 2021 hat der Mineralölkonzern Europas größten Anbieter für elektrische Ladeinfrastruktur übernommen. Damit zeigt Shell, dass sie das elektrische Laden als Zukunftsmarkt sehen.
Konkurrent Aral (Tochterfirma von BP, die in Deutschland übrigens die meisten Tankstellen betreibt) hat ebenfalls aufs elektrische Laden gesetzt. Rund 500 Ladesäulen mit bis zu 350 Kilowatt Ladeleistung gibt es derzeit bereits an über 120 Aral-Tankstellen.
Anfang 2022 gab der britische Mineralölkonzern BP gar bekannt, dass das Geschäft mit E-Ladesäulen bald profitabler werden könnte als der Verkauf von traditionellem Treibstoff. Die internen Geschäftszahlen deuten das an.
Insgesamt bräuchte es deutschlandweit rund 1.000 Wasserstofftankstellen – vor allem für den Schwerlastverkehr. An den großzügigen Ladeparks würden aber auch andere gewerbliche Akteure ausreichend Kapazitäten und gute technische Bedingungen finden, um ihre Liefer-, Miet- und Carsharingflotten schnell zu laden oder mit Wasserstoff zu betanken.
Diese Art der Tankstelle der Zukunft bräuchte also ausreichend Platz und könnte eher an den Rändern von Städten (etwa an Einkaufzentren, Autohöfe oder Freizeiteinrichtungen angeschlossen) sowie entlang der Autobahn stehen.
Szenario 3: das Kiosk-Konzept – kommunikative und soziale Funktion im Fokus
In diesem Szenario löst sich die Tankstelle von ihrer traditionellen Rolle, Autos mit Kraftstoff zu versorgen. In innerstädtischen Lagen ist ein eigenes Fahrzeug sowieso längst kein erstrebenswertes Ziel junger Menschen mehr. Daher rückt das Kiosk-Konzept in den Vordergrund. Zwar darf das Fahrzeug an einer solchen „Tanke“ noch getankt, geladen oder in der Waschanlage gewaschen werden – auch um dem Pachtvertrag zu entsprechen – den Großteil der Einnahmen macht dies aber nicht aus.
Stattdessen wird ein Mix aus unterschiedlichen Waren und Dienstleistungen angeboten. Neben den immer wichtiger werdenden Liefer-, Kurier- und Versanddiensten, könnten auch weitere Angebote wie Bankautomaten, Bistros, kleine Gemischtwarenläden oder ein Mietwagen-Service die Angebotspalette ergänzen. Je nach Stadtteil oder Region wäre der Angebotsmix anders.
Denkbar ist in diesem Szenario sogar, dass der Tankstellen-Kiosk zum Kulturraum wird. Als Treffpunkt für Menschen bliebe die soziale Komponente der Tankstelle, die traditionell rund um die Uhr geöffnet hat, erhalten. Dieses Kiosk-Konzept wäre nicht nur für Innenstädte interessant. Auch im ländlichen Raum könnte die Kiosk-Tankstelle eine wichtige soziale Funktion übernehmen.
Szenario 4: der Mobilitäts-Knotenpunkt – zentrale Lage als Vorteil für neues Geschäftsmodell
Das Szenario des Mobilitäts-Knotenpunkts ist wohl am weitesten von der aktuellen Vorstellung einer Tankstelle entfernt. Denn im herkömmlichen Sinne würden die „Tanken“ nicht mehr gebraucht.
Konventionelle Kraftstoffe wie Benzin und Diesel gehören in diesem Szenario längst der Vergangenheit an.
Auch der Individualverkehr ist de-priorisiert. Stattdessen dominieren diverse Sharing-Dienste und der öffentliche Personennah- und Fernverkehr. Wer ein eigenes Elektroauto besitzt, kann es an Ladepunkten im öffentlichen Raum oder daheim laden.
Zum Mobilitäts-Knotenpunkt kommen Menschen, weil er so zentral gelegen ist und dort unterschiedliche Mobilitätsangebote gleichzeitig angeboten werden. Ob Scooter, Moped, Mietauto oder (Fernreise-)Bus, hier würden sich viele Transportmittel vereinen. Ergänzend könnten diese Orte als Informationszentrale oder Imbiss dienen.
Das neue Geschäftsmodell wäre dann auf das Laden und den Batterietausch dieser gewerblich betriebenen Transportmittel ausgelegt. Somit würden sich Betreibende dieses Tankstellen-Modells an Geschäftskunden richten, die ihre Fahrzeugflotten am Mobilitäts-Knotenpunkt vor Reiseantritt mit neuer Energie versorgen wollen.
Ein Vorteil dieses Szenarios wäre die Reduktion der Überlastung, die auf der „letzten Meile“ durch den Transport von Menschen und Waren entsteht.
Fazit: Zapfen, Laden oder beides?
Zapfen, Laden oder beides gleichzeitig im Angebot? Ob und wie sich die derzeit 14.459 Tankstellen in Deutschland wandeln werden, darüber entscheiden nicht nur die Mineralölkonzerne wie Aral, Esso, Shell oder Total entsprechend von Faktoren wie Gewinn, Lage und Kundenfrequenz. Im Normalfall steht eine Tankstelle auf gepachtetem Land, dass der Stadt oder Gemeinde gehört. Somit hat auch die Kommune einen gewissen Einfluss darauf, wie die Tankstelle der Zukunft aussehen könnte. Neben dem Aspekt Elektroauto laden, könnten auch andere Gesichtspunkte in die Kalkulation von Kommunen, ob der Erhalt oder die Umgestaltung einer alten Tankstelle lohnt, einbezogen werden. Denn immerhin versorgen Tankstellen nicht nur mit Sprit und Benzin. Kiosk und Klo sind wichtige Anlaufpunkte vieler Tankanlagen, nicht nur entlang der Autobahn. Einige sehen die „Tanke“ sogar als Kultort.
Auf der anderen Seite ist das Laden deutlich dezentraler als das Tanken. Anders als bei Benzin und Diesel muss Strom nicht an einem zentralen Ort abgegeben werden. Laden lässt sich an vielen Orten. Bereits im März 2021 gab es rund 40.000 (teil-)öffentliche Ladepunkte, schreibt der Energieverband BDEW. Sie stehen nicht nur an Tankstellen, sondern auch beispielsweise vor Supermärkten oder in Parkhäusern. Wenn private Ladepunkte einberechnet werden, entfällt für einen Teil aller Elektroautos die Notwendigkeit, zum Laden an eine Tankstelle zu fahren. Wer keine längeren Strecken bewältigen muss, kann das eigene Elektroauto einfach daheim, während der Arbeit oder beim Einkaufen aufladen.
Insgesamt lässt sich also nicht eine einzelne Vision für die Tankstelle der Zukunft entwickeln. Wahrscheinlicher ist es, dass mehrere der hier skizzierten Szenarien gleichzeitig bestehen könnten – bis irgendwann der Verbrenner komplett abgelöst ist.
Bildquelle: Aral / BP