Bidirektionales Laden – Zwischen Forschung und praktischer Anwendung
- Bidirektionales Laden – Zwischen Forschung und praktischer Anwendung
- BMW und Mercedes zeigen, wie es gehen kann
- So funktioniert bidirektionales Laden – über AC und DC
- Forschung im Realbetrieb: BDL Next zeigt den Weg
- AFIR macht Druck: ISO 15118 wird Pflicht
- Am Ende entscheidet das Auto
- Fazit: Der Alltag kommt näher
Bidirektionales Laden – Zwischen Forschung und praktischer Anwendung
Beim Bidirektionalen Laden unterscheidet man in die „Vehicle-to-Home“ (V2H) und die „Vehicle-to-Grid“ (V2G) Anwendung. V2H, die Zwischenspeicherung von z.B. PV-Strom zuhause, zeichnet sich momentan als realistischer Einstieg ins bidirektionale Laden ab. V2G, die Rückspeisung ins Stromnetz, ist das langfristige Ziel – technisch machbar, aber aktuell noch durch regulatorische Hürden (Abgaben, Umlagen) stark eingeschränkt.
BMW und Mercedes zeigen, wie es gehen kann
Mit der „Neuen Klasse“ bringt BMW nicht nur ein neues Elektroauto-Konzept, sondern auch die passende Ladeinfrastruktur. Besonders ins Auge sticht dabei die neu vorgestellte DC-Wallbox, die bidirektionales Laden seriennah möglich macht. Überraschend: Der Preis soll deutlich unter dem bisher Üblichen liegen – und damit eine echte Revolution im Markt anstoßen.
Während DC-Wallboxen bisher oft mehrere tausend Euro kosteten, positioniert BMW sein 11 kW - Modell im deutlich erschwinglicheren Bereich von knapp 2.200 €. Parallel dazu präsentiert Mercedes-Benz zusammen mit seinem neuen GLC ebenfalls eine Lösung für bidirektionales Laden - mit einem ganzen Mercedes-eigenen Ökosystem. Damit wird wohl in den nächsten Monaten ein echter Marktzugang zum bidirektionalem Laden eröffnet, der bislang eher Forschungsprojekten und Pilotkunden vorbehalten war.
Update: Nach Mercedes und BMW hat nun auch Volkswagen bzw. deren Tochter Elli auf der IAA ein großes Pilotprojekt zum Bidirektionalen Laden angekündigt. Während BMW mit einem externen Systempartner zusammenarbeit, setzt Elli auf eine eigens entwickelte Softwareplattform. Bei der Ladetechnik nutzt VW ebenfalls eine DC-Wallbox und nennt mit Cubos sogar den Hersteller und das Modell BD11, das interessanterweise eichrechtskonform zertifiziert sein wird.
So funktioniert bidirektionales Laden – über AC und DC
Grundlage: Die Kommunikation (ISO 15118)
Die Wallbox schickt dem Auto über das Kommunikationsprotokoll ISO 15118 den Befehl zur Entladung. Nur wenn das Auto den Befehl akzeptiert, öffnet es die Batterie für die Rückspeisung. Die Kommunikation per ISO15118 erfordert ein PLC-Modem (bekannt von den „Netzwerk über Strom“ Steckdosen) in der Wallbox und im Fahrzeug. In den meisten Fahrzeugen ist das bereits integriert, weil es zum DC-Laden immer benötigt wird.
Stromwandlung – hier liegt der Unterschied
AC-Wallbox (Wechselstrom)
Eine AC-Wallbox ist technisch relativ einfach aufgebaut und recht günstig. Die Umwandlung von Gleichstrom (aus der Batterie) zu Wechselstrom (für Haus oder Netz) passiert im Auto über den eingebauten Onboard-Charger (OBC). Dann kann ein Fahrzeug meistens mit 11 kW geladen und entladen werden. Es gibt aber auch Fahrzeuge, die einen einphasigen OBC haben oder auf geringe Stromstärken ausgelegt sind, die dann nur mit 3,7 kW oder 7,2 kW laden können. Ein oft genannter Bestandsbonus besteht aus unserer Sicht aber leider nicht, weil die heute massenhaft verbauten AC-Wallboxen kein PLC-Modem für die oben genannte Kommunikation integriert haben.
DC-Wallbox (Gleichstrom)
Beim DC-Laden findet die Umwandlung von Gleichstrom (aus der Batterie) zu Wechselstrom (für Haus oder Netz) in der Wallbox statt. Da die meisten Fahrzeuge mittlerweile DC-Laden mit mindestens 50 kW serienmäßig können, kann so fahrzeugunabhängig mit z.B. 11 kW, die für das Haus gut nutzbar sind, entladen werden. Ein weiterer Grund für DC liegt in der besserern Regulierbarkeit, wenn der Wechselrichter in der Wallbox sitzt: Wechselrichter müssen regionale technische Anforderungen der Netzbetreiber (Technische Anschlussbedingungen, TAB) erfüllen, um Störungen im Stromnetz zu verhindern. Nachteil sind die bisher deutlich höheren Anschaffungskosten einer DC-Wallbox – wobei BMW ja gerade zeigt, dass sich das ändern kann.
Für das bidirektionale Laden an sich, macht es keinen Unterschied ob AC oder DC-Wallbox. Nach den Veröffentlichungen von Mercedes-Benz und BMW auf der IAA 2025 ist fast davon auszugehen, dass zukünftig vor allem DC-Lösungen verbreitet sein werden.
Forschung im Realbetrieb: BDL Next zeigt den Weg
Mit BDL Next läuft derzeit eines der spannendsten Forschungsprojekte zum bidirektionalen Laden in Deutschland. Ziel ist es, die Technik vom Pilotstatus in den Alltag zu bringen – also Massentauglichkeit zu erreichen. Dabei geht es nicht nur um die Fahrzeuge selbst, sondern auch um Markt-, Netz- und Systemintegration.
Besonders interessant: Im Projekt werden zwei Ebenen untersucht. Einerseits Vehicle-to-Home (V2H) – also die Rückspeisung von Strom ins Hausnetz, etwa um selbst erzeugte Solarenergie effizienter zu nutzen. Andererseits Vehicle-to-Grid (V2G) – die direkte Einspeisung ins öffentliche Netz, mit der Elektroautos als flexible Speicher für die Energiewirtschaft nutzbar werden könnten. Erste Berechnungen zeigen, dass beide Varianten wirtschaftliches Potenzial haben, wobei V2H den schnelleren Einstieg für Privathaushalte bietet.
Beteiligt sind neben BMW, Compleo und der Bayernwerk Netz zahlreiche Partner aus Forschung, Energiewirtschaft und Netzbetrieb. In den kommenden Jahren sollen reale Feldtests zeigen, wie sich bidirektionales Laden technisch umsetzen lässt und welche Anreize für Nutzerinnen und Nutzer dabei entstehen können. Noch stehen regulatorische Fragen und Abrechnungsmodelle im Weg, doch BDL Next liefert wichtige Bausteine, um diese Hürden zu überwinden.
AFIR macht Druck: ISO 15118 wird Pflicht
Damit bidirektionales Laden nicht nur ein Hersteller-Feature bleibt, braucht es einheitliche Regeln. Genau hier setzt die AFIR-Verordnung (Alternative Fuels Infrastructure Regulation) der EU an. Sie verpflichtet Betreiber von Ladeinfrastruktur, die Kommunikation nach ISO 15118 umzusetzen – und schafft damit die technische Grundlage bidirektionales Laden (und Plug & Charge). Konkret gilt:
- Ab Januar 2026 müssen alle öffentlichen AC-Ladepunkte ISO 15118 unterstützen.
- Ab 2027 gilt die Pflicht auch für private Ladepunkte.
Das bedeutet: Neue Wallboxen, egal ob in der Garage zuhause oder auf Firmenparkplätzen, müssen künftig mit der nötigen Kommunikationsschnittstelle für bidirektionales Laden ausgestattet sein.
Damit wird AFIR zum entscheidenden Hebel: Sie sorgt dafür, dass bidirektionales Laden nicht mehr von einzelnen Projekten oder Pilotanlagen abhängt, sondern als europaweiter Standard in der Breite ankommt. Für Hersteller und Installateure ist das zwar eine Herausforderung – für Nutzerinnen und Nutzer aber ein großer Schritt hin zu echter Alltagstauglichkeit.
Am Ende entscheidet das Auto
So klar die Technik auf Seiten von Wallboxen und Regulierung auch ist – ohne passende Fahrzeuge bleibt bidirektionales Laden Theorie. Entscheidend ist, ob das Auto den Entladebefehl akzeptiert und die Batterie dafür freigibt. Genau hier unterscheiden sich die Hersteller noch deutlich: Während BMW und Mercedes mit ihren neuen Modellen den Einstieg bereiten, fehlen bei vielen anderen Marken noch konkrete Fahrpläne. Und manche wie VW haben ihre ID-Serie schon lange als „Bidirektional-ready“ angekündigt, werden wohl aber auch erst in 2026 in die Praxis starten.
Offen sind auch wichtige Randfragen: Wie wirkt sich wiederholtes Entladen auf die Batterielebensdauer aus? Welche Garantiebedingungen geben die Hersteller, wenn die Batterie regelmäßig als Hausspeicher genutzt wird? Und wie wird der zurückgespeiste Strom steuerlich behandelt? Antworten darauf stehen bisher aus – und werden darüber entscheiden, ob bidirektionales Laden für Nutzerinnen und Nutzer wirklich attraktiv wird.
Fazit: Der Alltag kommt näher
Bidirektionales Laden verlässt Schritt für Schritt die Nische. Mit BMW und Mercedes gehen die ersten großen Hersteller in Serie, und die EU schreibt mit der AFIR die nötigen Standards fest. Forschungsprojekte wie BDL Next zeigen parallel, wie sich die Technik sinnvoll in Haushalte, Strommärkte und Netze einbinden lässt.
Noch sind viele Punkte offen – von der Batteriegarantie bis zu Fragen der Abrechnung. Aber die Richtung ist klar: Aus einer Vision wird eine greifbare Option. Schon in wenigen Monaten könnte das Elektroauto nicht mehr nur Energie aufnehmen, sondern auch ein wichtiger Baustein unserer Stromversorgung sein.
Sebastian Metzler Team Lead - Product & Supply Chain
